Großes Seibert-Mikroskop; Stativ 2, gefertigt um 1890. Das Instrument wird im zugehörigen Kasten mit der eingestanzten Seriennummer 6194 liegend untergebracht. Dieses Mikroskop ist gefertigt aus zaponiertem, geschwärztem und vernickeltem Messing. Getragen wird das Gerät von einem gespreizten Fuß.
Zur Beleuchtung
dient ein Spiegel mit planer und konkaver Seite, welcher zusammen mit einem
kompletten Abbe'schen Beleuchtungsapparat, samt dezentrierbarer Irisblende,
über Zahn und Trieb abgefahren werden kann.
Die zentrierbare Tischplatte ist drehbar und in Inkremente zu 2° geteilt. Die originalen Objektklemmen mit zaponierten Köpfen sind vorhanden. Der Grobtrieb erfolgt über eine schrägverzahnte Stange und zwei große, darauf wirkende Rändelräder. Der Feintrieb "ohne Friction" ist für Seibert eigen und wird hier über ein Rändelrad unter der Tischplatte bedient, mit bequem auf der Unterlage ruhender Hand. Der Tubus verfügt über einen graduierten Auszug und neben einer Einzelobjektivaufnahme über einen dreifachen Objektivrevolver. |
Das Instrument ist ausgestattet mit den Objektiven
Seibert NO I,
Seibert NO III und dem Fluoritsystem
Seibert NO V (F1), aufbewahrt
in einem eigenen lederbezogenen Holzkästchen. Ferner ist in signierter
Messingdose das Objektiv Seibert Homogene Immersion
1/12" für Cedernholzölimmersion beigefügt.
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Auf dem Tubus ist das Mikroskop schlicht signiert:
Seibert Beigegeben ist dem Mikroskop eine Anleitung zum Gebrauch und zur Behandlung der Seibert'schen Mikroskope. Dieses Stativ Nr. 2 ähnelt bis auf den komplexeren Beleuchtungsapparat in allen Details dem großen Stativ Nr. 2 von Gundlach aus der Zeit um 1870. Wie auch schon zu Gundlachs Zeiten ist dieses Stativ das größte mit einem Drehtisch ausgestattete Stativ. |
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Im Preis-Verzeichniss über Mikroskope und mikroskopische Hilfsapparate von W. & H. Seibert Wetzlar, No. 21 vom August 1890 erscheint dieses Mikroskop: Nr. 1 Grosses Mikroskop. Grosser massiver Messingfuss; Gelenk zur Schiefstellung und Fixirung in jeder Position; Auszugstubus mit Theilung [...] Die beiden letzteren Bewegungen sind ohne Friction - eine neue eigenthümliche Construction - durch welche das, bei allen bisherigen, dem gleichen Zweck dienenden Einrichtungen für die Dauer unvermeindliche Hin- und Herrücken des Bildes sowie auch der sog. todte Gang der Schraube für immer beseitigt und überdies eine sehr leichte und sanfte Drehbarkeit der Schraube erreicht. [...] Beleuchtungsapprat nach Abbé, in der Richtung der optischen Axe mittelst Triebwerk beweglich, mit Irisblende, diese hat, geöffnet, die volle Weite der unteren Condensatorlinse [sic!]. Das Condensorsystem lässt sich einfach entfernen , ebenso die ganze Blendvorrichtung und statt dessen andere Beleuchtungseinrichtungen einschieben, z.B. gewöhnliche Cylinderblendung mit Diaphragmen, Polarisator, Spektralapparate etc. [...] ...380 M. Nr. 2 Grosses Mikroskop. Drehbarer, mit Gradtheilung, sowie Stellschrauben zur Correctur der Centrirung versehener Objecttisch; Gelenk zur Schiefstellung und Fixirung in jeder Position; Auszugstubus mit Theilung; grosser massiver Messingfuss. Die schnelle Bewegung des Tubus wird mittelst Triebwerkes bewirkt, die genaue Einstellung mittelst feiner Schraube, deren Handknopf sich unter der Tubussäule befindet. Diese Bewegung ist ohne Friction (siehe Nr.1). Beleuchtungsapparat nach Abbé mit Irisblende wie bei Nr.1. Preis des Statives einschliesslich Kasten...250 M. Nr. 2d Das gleiche Instrument mit folgendem Zubehör: Revolver-Objectivträger für drei Objective; Objective Nr. I, III, V und homogene Immersion 1/12, Apertur 1,30, Oculare 0, I und III, letzteres mit Mikrometer (Vergrösserungen 30 - 1090fach); Testobjecte, Objectträger, Deckgläser etc. ... 569 M. Statt den Okularen Nr. 0 und Nr. I zu je 7 1/2 Mark ist dieses Mikroskop ausgestattet mit Periskopisches Ocular (grösseres und ebeneres Gesichtsfeld) Nr. 1 (18 Mark) und Nr. 2 (15 Mark) Danach beläuft sich der Preis für das hier gezeigte Mikroskop im Jahre 1890 auf 587 Mark. |
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Dieses Mikroskop wird eingesetzt von Hermann Stoll (1875 - 1965), welcher nach seinem Abitur in der badischen Hauptstadt an der damaligen Technischen Hochschule Karlsruhe im Wintersemester 1893/94 das Studium des Forstwesens aufnimmt. Nach vier Semestern besteht er die Vorprüfung und schließt das Studium im Dezember 1897 ab. Nach einer Anstellung in Forbach erfolgt 1907 die Ernennung zum Forstamtmann. Im Juni 1909 schließt sich die Promotion an der Großherzoglich Technischen Hochschule Fridericiana zu Karlsruhe an. |
Der Titel der Dissertation lautet:
"Das Versagen der Weißtannenverjüngung im mittleren Murgtale /
ein Beitrag zum waldbaulichen Verhalten der Weißtanne" - die
zugehörige Prüfung wird "mit Auszeichnung" bestanden. Zeit seines
Lebens beschäftigt sich Hermann Stoll im Staatsdienst mit dem Forstwesen,
wofür genau er das hier gezeigte Mikroskop einsetzt, ist leider nicht
mehr rekonstruierbar.
Von seinem Neffen Ferdinand Jentzer wird das Mikroskop im März 2005 an diese Sammlung verkauft.
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Schließlich beliefern sie ausschließlich Gundlachs
neue Firma in Berlin. Als jener in Zahlungsschwierigkeiten kommt, machen
sie sich 1872 mit dem Wetzlarer Kaufmann Georg Krafft selbständig. Im
selben Jahr kaufen sie Gundlachs Werkstätte auf und verlegen sie 1873
nach Wetzlar. 1884 wirde das Unternehmen in "W. & H. Seibert" umbenannt,
nachdem Krafft ausbezahlt worden ist. Die Gebrüder Seibert streben in
Ihrer Arbeit auch danach stets an, das Mikroskop in Einzelanfertigung zum
Kunstwerk zu erheben.
Im Jahr 1900 wird das Seibert-Mikroskop Nr. 10000 hergestellt. |
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Weltruhm
erlangt die Firma durch die Verbindung mit Robert Koch, der 1877 mit einem
Seibert-Mikroskop (mit mikrofotografischer Einrichtung, Photoobjektiven und
Immersionsobjektiven) seine berühmten "Bakterien-Photogramme" des
Milzbrand-Bakteriums erstellt. Im Jahre 1878 liefert die Firma Seibert wieder
ein Mikroskop samt Ölimmersion an Robert Koch nach Wollstein, der dieses
Instrument zur Erforschung der Wundinfektionskrankheiten benutzt. Während
Robert Koch in der Empfangsbestätigung aus dem Februar 1877 die
Seibert'schen Produkte lobt, schreibt er ein Jahr später in einem
persönlichen Brief an die Firmeninhaber, ihm seien mit dem
Seibert-Instrumentarium "nicht unwichtige Entdeckungen" gelungen.
[Vergleiche Optisches Museum der Ernst-Abbe-Stiftung Jena: "Zusammengesetztes Mikroskop / Seibert, Wetzlar / um 1870" signiert auf dem Tubus "Seibert", mit Zylinderlochblende und Hebewerk; Referenz 4, 34, 113] |
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