Frühes großes Mikroskop von Reichert; Stativ II aus Vollmessing, Wien um 1886. Das Mikroskop ist aus zaponiertem und geschwärztem Messing und Stahl gefertigt. Dieses Instrument verfügt über einen vernickelten Auszugtubus mit Millimeterteilung, einen Grobtrieb auf eine geradverzahnte Stange sowie eine Prismenfeintrieb, letzterer trägt an der Glocke eine Teilung mit 100 Segmenten und die Bezeichnung 1 U = 0,5 m/m d.h. Inkremente zu 5 Mikrometern können gemessen werden. Die Tischplatte besteht aus schwarz gebeiztem Messing, die breiten Objektklammern aus vernickltem bzw. zaponiertem Messing.
Das Mikroskop ist um seine optische Achse drehbar und kann wahlweise mit einem von zwei Beleuchtungsapparten bestückt werden. Die einfache Zylinderblendung mit drei Apertureinsätzen ist in einer Schiebehülse gefasst, welche ihrerseits in einer Schwalbenschwanzführung gegen die Ebene geneigt seitlich unter der Tischplatte eingeführt werden kann; der zugehörige Plan- und Konkavspiegel ist über sechs Lager frei beweglich. Der alternativ anzuwendende Abbe'sche Beleuchtungsapparat ist mit einem eigenen Plan- und Konkavspiegel ausgerüstet, der Diaphragmenträger an diesem Apparat kann seitlich ausgeschlagen werden, ist drehbar und über Zahn und Trieb aus der optischen Achsen bewegbar, es sind neben einer Dunkelfeldblende fünf weitere Blendenscheiben vorhanden.
Auf dem Tubus ist das Mikroskop dekorativ signiert:
C. Reichert
VIII Bennogasse 26
Wien
Im Kasten ist die Seriennummer eingebrannt:
No. 3233
Das Mikroskop ist mit einem geschlossenen dreifachen Objektivrevolver ausgerüstet - an dessen Außengewinden nach Hartnack sind die Zahlen 3, 5 und 7 eingeschlagen. In der Objektivbüchse No. 8a / C. Reichert / Wien ist das Objektiv Nr.7a untergebracht. Dem Kasten nach war dieses Mikroskop ursprünglich noch mit einem kleinen Lederkästchen für die Objektive Nr.3, 5 und 7a versehen. Objektiv Nr. 5 und Nr. 8a sind abhanden gekommen. Jetzt stellt sich die optische Ausstattung wie folgt dar: Objektive Nr.3, Nr.7a, Nr.IX mit Korrektionsfassung (Objektivseriennummer 360 in der Fassung graviert) in zugehöriger Büchse No.IX / C. Reichert / Wien sowie Ölimmersionsobjektiv Homog. im. 1/20" (Objektivseriennummer 378 in der Fassung graviert) mit Büchse 1/20" Homog.im. / C. Reichert / Wien. Für die Objektive wird eine Dunkelfeldaperturblende aus geschwärztem Messing im Kasten aufbewahrt.
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Ferner ist der komplette zu dieser Zeit angebotene Satz Huygensokulare vorhanden, Nr.1, Nr.2 Micrometer (mit 100 Teilstrichen über das gesamte Gesichtsfeld), Nr.3, Nr.4 und Nr.5 sowie das orthoskopische Okular Nr. VI Orth. |
Mit dieser Ausstattung ergibt sich folgende Vergrößerungstabelle (160 mm Tububslänge, 250 mm Sehweite) laut Preisliste von 1885.
Objektiv |
Aequivalente |
Aequivalente |
Numerische |
Öffnungswinkel | Preis |
Vergrößerung mit Okular Nr. |
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1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
VI Orth. |
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fl. |
M. |
Fr. |
Eigenvergrößerung der Okulare |
3 |
4 |
5,5 |
7 |
9 |
12 |
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3 |
15.5 |
1/2 |
0.34 |
40° |
10.-- | 17.-- | 21.-- |
50 |
65 |
80 |
100 |
130 |
160 |
|
7a |
3.6 |
1/6 |
0.82 |
110° |
22.-- | 38.-- | 47.50 |
250 |
300 | 340 |
440 |
570 |
700 |
|
9* |
2.0 |
1/12 |
0.95 |
140° |
40.-- | 70.-- | 88.-- | 430 |
540 | 620 |
800 |
1100 | 1400 | |
Homogene Immersionsobjektive |
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19 |
1.2 |
1/20 |
1.25 bis 1.30 |
150.-- | 260.-- | 325.-- | 740 |
860 | 1150 | 1500 | 1900 | 3000 |
Neben einem rund gefassten Okularmikrometer mit 100 Teilen zum Einlegen
in das Okular ist dem Instrument in einer samtgefütterten Lederschatulle
C. Reichert Wien ein Objektmikrometer
beigefügt: 2 m/m in 200 Theilen . Eine Camera Lucida nach Zeiss rundet die Ausstattung des Mikroskops ab. Dieses Stativ wird ohne optische Zusätze im "Preisverzeichniss der Mikroskope, Mikrotome und Nebenapparate von C. Reichert in Wien" im Jahre 1885 gelistet als [Preise in österreichischen Gulden, Reichsmark und Francs]: |
[No.1 und No.72 sind nur zum Verständnis der Liste mit aufgeführt] In summa beläuft sich der Preis im Jahre 1885 für dieses Mikroskop mit den noch erhaltenen Objektiven somit auf 731.- Mark. |
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In den 1990ern taucht dieses Instrument bei einem
Antiquitätenhändler auf der Halbinsel Krim auf - über Hannover
gelangt das Mikroskop im Dezember 2003 in diese
Sammlung.
Carl Friedrich Wilhelm Reichert wird am 26.12.1851 in Sersheim, Württemberg geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern lebt er bei seinem Großvater und geht in Bietigheim zur Schule. Eine Mechanikerlehre beginnt er 1865 bei W. Stierle, Heilbronn. Parallel dazu besucht er die gewerbliche Fortbildungsschule. Nachdem er als Geselle in mehreren mechanischen Unternehmen gearbeitet hat, reist Reichert über Mainz, Köln, Duisburg, Essen, Hannover nach Hamburg. Später zieht es ihn nach Berlin, wo er bei Siemens und Halske Arbeit findet. Schon 1870 fährt der junge Reichert via Leipzig, Dresden und Prag nach Wien. Bedingt durch den deutsch-französischen Krieg verläßt Reichert Wien und zieht mit gleichgesinnten Mechanikern nach Neuchâtel in die Schweiz. Kurze Zeit lebt Reichert danach in Karlsruhe, von wo aus er im Frühjahr 1872 in Pforzheim auf die Firma Öchsle stößt. Beim Vater des damaligen Besitzers war zufällig auch Ernst Leitz in die Lehre gegangen und so kommt es, dass Reichert nach Wetzlar zieht. Ursprünglich ist eine Beteiligung Reicherts an den Leitz'schen Werkstätten geplant. Nach einem einjährigen Aufenthalt bei Hartnack, Potsdam kehrt Reichert 1875 nach Wetzlar zurück, störte sich aber daran, dass Frau Leitz sich zunehmend in die Geschäfte einmischt. |
Einvernehmlich trennt sich Reichert von Leitz und übersiedelt
mit zwei Mechanikern im November 1876 in die Mölkergasse 3, Wien. Dort
werden nach Hartnack'schem Vorbild Mikroskope hergestellt.
Als sich das Unternehmen gefestigt hat, übersiedelt die Werkstatt im Jahre 1878 in die Laudongasse 40 und Reichert nimmt im gleichen Jahr die Schwägerin von Ernst Leitz zur Frau, welche jedoch schon im März 1881 an Kindbettfieber stirbt. Mitte November des selben Jahres heiratet Reichert die Schwester seiner verstorbenen Frau. Die Werkstatt ist 1881 ebenfalls umgezogen und befindet sich nun in der Bennogasse 26. Der erste Erfolg der Firma ist die Pariser Ausstellung 1878. Der damalige österreichische Generalkommissär der Optik und Mechanik, Freiherrn von Wertheim veranlaßt Carl Reichert das junge Unternehmen hier mit seinen Mikroskopen vorzustellen. Der Firma kann sämtliche ausgestellten Instrumente verkaufen und bekommt die große Goldene Medaille verliehen. Derart ausgezeichnet laufen rasch viele Bestellungen weiterer Mikroskope in Wien ein - mit 50 Mitarbeitern verkauft Carl Reichert bereits 1883 sein Mikroskop Nr. 1000. Das universelle Stativ Reicherts nach dem Vorbilde Hartnacks wird 1889 auf der Pariser Weltausstellung wiederum mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet. Im Jahre 1891 wird die Seriennummer 10000 erreicht und noch vor der Jahrhundertwende kann das 20000ste Mikroskop 1898 die Werkstatt verlassen. Am 12.12.1922 verstirbt der Kaiserliche Rat Carl Reichert in Wien. (Besonders gedankt sei Manfred Feige, Hannover, dem als professionellen Händler bei diesem Mikroskop im Dezember 2003 Idealismus über Profit geht und der ermöglicht, dass dieses Instrument in Deutschland bleiben kann und in die Sammlung gelangt; weiterer Dank gebührt Tilman Halder der kurzfristig bei der Finanzierung des Mikroskops half) [Vergleiche Referenz 2, 3, 9, 22, 25, 82 sowie "Quekett Journal of Microscopy", 2001, 39, S. 59-72] |
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