Sehr frühes Mikroskop von Reichert; Stativ aus Vollmessing, Wien 1877. Zaponiertes und geschwärztes Messing, Stahl.
Dieses Instrument verfügt über einen Auszugtubus. Die grobe Fokussierung geschieht über einen Schiebetubus, zur Feineinstellung wirkt am Ende der Säule ein Rändelrad auf einen stählernen Prismentrieb.
Die Seriennummer des Mikroskops ist an der Seite des Hufeisens eingeschlagen: No33
An wen das Mikroskop ursprünglich verkaufte wurde, ist nicht mehr rekonstruierbar. Aus dem Nachlass des ehemals im Deutschen Primaten Zentrum in der Virologie (HIV) und Immunologie tätigen Dr.med.dent.Dr.med. Georg Julius Kovats von Dalnok (1954 Borsec/Rumänien - 1999 Göttingen), welcher das Instrument von seinem Vater (selbst Arzt und gebürtig in Rumänien) übernommen hatte, kann dieses Mikroskop 2003 für die Sammlung angekauft werden. Ein identisches Stativ, Seriennummer No.37, ebenfalls aus dem Jahre 1877 wird von Gregor Mendel (1822 - 1884) eingesetzt. Dieser österreichische Begründer der Vererbungslehre verwendet zuvor ein kleines Stativ von Simon Plößl in Wien beziehungsweise ein dreibeiniges Stangenstativ jenes Wiener Optikers. |
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Carl Friedrich Wilhelm Reichert wird am 26.12.1851 in Sersheim, Württemberg geboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern lebt er bei seinem Großvater und geht in Bietigheim zur Schule. Eine Mechanikerlehre beginnt er 1865 bei W. Stierle, Heilbronn. Parallel dazu besucht er die gewerbliche Fortbildungsschule. Nachdem er als Geselle in mehreren mechanischen Unternehmen gearbeitet hat, reist Reichert über Mainz, Köln, Duisburg, Essen, Hannover nach Hamburg. Später zieht es ihn nach Berlin, wo er bei Siemens und Halske Arbeit findet. Schon 1870 fährt der junge Reichert via Leipzig, Dresden und Prag nach Wien. Bedingt durch den deutsch-französischen Krieg verläßt Reichert Wien und zieht mit gleichgesinnten Mechanikern nach Neuchâtel in die Schweiz. Kurze Zeit lebt Reichert danach in Karlsruhe, von wo aus er im Frühjahr 1872 in Pforzheim auf die Firma Öchsle stößt. Beim Vater des damaligen Besitzers war zufällig auch Ernst Leitz in die Lehre gegangen und so kommt es, dass Reichert nach Wetzlar zieht. Ursprünglich ist eine Beteiligung Reicherts an den Leitz'schen Werkstätten geplant. Nach einem einjährigen Aufenthalt bei Hartnack, Potsdam kehrt Reichert 1875 nach Wetzlar zurück, störte sich aber daran, dass Frau Leitz sich zunehmend in die Geschäfte einmischt. Einvernehmlich trennt sich Reichert von Leitz und übersiedelt mit zwei Mechanikern im November 1876 in die Mölkergasse 3, Wien. Dort werden nach Hartnack'schem Vorbild Mikroskope wie das hier gezeigte hergestellt. |
Als sich das Unternehmen gefestigt hat, übersiedelt die Werkstatt im Jahre 1878 in die Laudongasse 40 und Reichert nimmt im gleichen Jahr die Schwägerin von Ernst Leitz zur Frau, welche jedoch schon im März 1881 an Kindbettfieber stirbt. Mitte November des selben Jahres heiratet Reichert die Schwester seiner verstorbenen Frau. Die Werkstatt ist 1881 ebenfalls umgezogen und befindet sich nun in der Bennogasse 26. Der erste Erfolg der Firma ist die Pariser Ausstellung 1878. Der damalige österreichische Generalkommissär der Optik und Mechanik, Freiherrn von Wertheim veranlaßt Carl Reichert das junge Unternehmen hier mit seinen Mikroskopen vorzustellen. Der Firma kann sämtliche ausgestellten Instrumente verkaufen und bekommt die große Goldene Medaille verliehen. Derart ausgezeichnet laufen rasch viele Bestellungen weiterer Mikroskope in Wien ein - mit 50 Mitarbeitern verkauft Carl Reichert bereits 1883 sein Mikroskop Nr. 1000. Das universelle Stativ Reicherts nach dem Vorbilde Hartnacks wird 1889 auf der Pariser Weltausstellung wiederum mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet. Im Jahre 1891 wird die Seriennummer 10000 erreicht und noch vor der Jahrhundertwende kann das 20000ste Mikroskop 1898 die Werkstatt verlassen. Am 12.12.1922 verstirbt der Kaiserliche Rat Carl Reichert in Wien. |
[Vergleiche Referenz 2, 3, 9, 22, 25, 82 sowie "Quekett Journal
of Microscopy", 2001, 39, S. 59-72]
(Das Mikroskop konnte mit freundschaftlicher Unterstützung von Tilman Halder erworben werden. Der Dank für Hinweise auf dieses Instrument gilt Moritz Sokolowski und Allan Wissner) |
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